The Kingdom of Mud | 2011

The Kingdom of Mud | 2011

MS
Interview in Some Magazine – Electric.
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MS

Heute bewegen wir Elektronen: digitale Information. Das digitales Zeitalter, das ist schwer zu sagen wann es anfing, sagen wir mal mit Gottfried Leibnitz im Jahre 1666. Er entwarf eine Vision für eine Datenbank aller Vernunft und entdeckte das Binärsystem. Ein Vordenker des Internets im Sinne einer allwissenden Maschine des Wissens.

Als ich Filme und Videos machte, kamen die Ideen aus dem Unbewussten heraus, als ich dann anfing zu programmieren kamen sie mehr aus einer geistigen Ebene. Indem man anfängt zu programmieren verändert man auch die Art des Denkens. Ich empfand es oft als eine Art Meditation, wenn man lange sitzt und programmiert, schnelle Erfolgserlebnisse hat. Man hat sozusagen die Möglichkeit, durch einen gedanklichen Algorithmus seine eigene Welt neu zu schaffen. Die letzte digitale Arbeit, die unsere Gruppe „supreme particles“ 2001 machte hieß R111. Wir hatten unsere Theorie des Infossilen perfektioniert. Information wird durch Elektronen in Bits gespeichert. Diese Elektronen verbrauchen fossile Brennstoffe für die Stromerzeugung. Sind diese fossilen Quellen erschöpft, werden sie durch atomare Brennstoffe ersetzt. Hier endet die Freiheit der digitalen Welt und des Programmierers, denn ab da wird die nukleare infossile Signatur zu unserem Erbe und nicht der Algorithmus. R111 bedeutete auch eine Strahlungsmenge von 111 Röntgen. Die Kraft des Unsichtbaren. Ein infossiles Licht, das immer stärker in unsere Welt tritt. Die letzte Ausstellung von R111 im Jahre 2001 in Tokyo war perfekt. Ich empfand es damals als privaten Höhe- und Endpunkt im elektrischen fossilen Zeitalter. Das war drei Monate vor 9/11 und irgendwie hatte ich das Gefühl es ist jetzt zu Ende. Danach sah ich persönlich keinen Sinn mehr in diesem Bereich weiter zu arbeiten. Du begreifst, dass du nicht für Erfolg arbeiten darfst, sondern nur für dein Glück, für deinen Frieden. Im Frieden mit Dir, da bist du zuhause und nirgendwo sonst.

Heute haben wir transportable Stromverbraucher und dadurch ein individuelles Spamming des sozialen Raumes. Sagen wir es so: es tritt Information von innen nach außen, vom Privaten in das Öffentliche, beispielsweise wird gerade ziemlich viel auf Gebäude projiziert, also haben wir da das Prinzip einer modernen Wunderkammer. Was in den Häusern drin ist, wird als Spektakel auf den Fassaden abgebildet, mit passgenauen Projektionen, Mappings usw. Das sind mehr oder weniger geometrische dekorative Lichthäute. Das Infossile tritt heutzutage sehr massiv in unsere Gesellschaft ein, auf Mobiltelefonen, auf tragbaren Geräten, es verlässt die Wohnzimmer. Nur komischerweise mit Uhren nicht. Warum sind Uhren nicht mehr digital? Früher wollte jeder eine digitale Uhr haben (lacht). Die Zeit hat sich wahrscheinlich von den Uhren gelöst.

Der Inhalt des Digitalen wird zur dekorativen Folklore. Alles wird immateriell, leuchtender, formloser: das Licht und damit auch Energie tritt überall in alle Aspekte des Alltags. Energie kann bald projiziert werden. Das ist eine neue Qualität. Übrigens: die meisten modernen leuchtenden, immateriellen Farben gab es bis vor kurzem gar nicht. Ich habe sie zum erstmal vor, ich glaube es war 1997 in Singapur, gesehen; orange, sehr helle LED’s auf Baustellen, neue Farben in der Welt. Ich glaube, dass der Welt das gefallen hat, diese neuen, nie zuvor gesehenen Farben. Hier haben wir den einen Aspekt des Elektrischen: das, was uns überall begegnet: den unscheinbaren elektrischen Strom, den wir mit uns herumtragen, das allzeit bereite Potenzial des Speichers.

Dann haben wir noch immer die andere, laute Seite der Energie: Autos, das Gegenteil des Immateriellen: die Verbrennungsästhetik, das allzeit bereite Potenzial der Löschung, das bedeutet, dass wir eigentlich bewusst und gerne zerstören, verbrennen. Es macht und soll ja auch richtig Spaß machen, das Pedal im Auto herunterzudrücken. Eigentlich verbrennt und löscht man damit das alte Gedächtnis der Welt, das tierisch ist. Erdöl basiert auf Tieren, marinen tierischen Ablagerungen. Insofern beten wir das Tier an (lacht), wenn wir auf das Gaspedal drücken. Das alte Gedächtnis der Welt kommt somit durch die Autos wieder „in Bewegung“. Mobilität ist allerdings nur ein Mythos. Mobilität wurde vor 10 Jahren gefeiert. Atome durch die Welt zu bewegen ist sehr teuer. Damals fiel mir auf, dass wir eine gepanzerte Herde sind. Früher ging die Herde auf vier Beinen zum Wasserloch. Heute fährt sie auf vier Rädern zum Benzinloch. Verbunden mit einem Freiheitsgefühl. Du fährst aber nur in eine Richtung und bist dabei sogar eingepfercht. Als Autopilot. Und genau so viele Autos fahren auch in die entgegengesetzte Richtung. Das macht keinen Sinn. Autos benehmen sich seltsam. Auf der Autobahn fahren sie rein, schnell wieder raus und bremsen dann, um dann gleich wieder rein zu fahren. Es ist ineffizient. Die Energie, die man im Auto verbrennt, die fossile Energie, kommt aus einer anderen Zeit. Das war eine rohe, gewalttätige Zeit und die bekommt man gratis mitgeliefert, wenn man an der Zapfsäule tankt. Das hört man auch an den Geräuschen: bruuuuhm.

Bei uns ist es überall sehr laut. Ich höre sehr viel hochfrequente Töne. Ich finde diese ganzen wireless Netze , Mikrowellen und Satelliten zu viel. Ich finde es zu laut. Es ist alles am kochen. Die Atome vibrieren. Das sagte William Blake schon: To see a world in a grain of sand: alle digitlen Bits dieser Welt besitzen weniger Elektronen als ein Sandkorn. In einem Sandkorn muss also eine große Nachricht gespeichert sein. Das ganze Internet passt in ein Sandkorn.

Die Welt ist sehr reich, sehr kostbar! Ein Königreich aus Dreck. Alles andere ist instabil und flüchtig.

MS

foto by Markus Postrach, HAL